In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, kam der Maler und Graphiker Lesser Ury bereits als Kind nach Berlin. Nach dem Studium an der Düsseldorfer Akademie (1878) ging er im Jahre 1879 nach Brüssel, 1880 nach Paris. Er arbeitete künstlerisch im flämischen Dorf Volluvet und kehrte nach Wanderjahren 1887 nach Berlin zurück, wo er seinen dauernden Wohnsitz nahm. In Berlin begegnete er anfänglich großen Schwierigkeiten. Isolation und tragische Vereinsamung in späten Jahren führten ihn bis an den Rand des Verfolgungswahnes. Im Jahre 1921 wurde Ury Ehrenmitglied der Berliner Secession. Neben Darstellungen aus dem Alten Testament und symbolischen Bildern jüdischen Schicksals hat er anfänglich Arbeiterbilder und Dorflandschaften gemalt, später vor allem Berliner Szenen in Öl, Pastell, Zeichnungen und Druckgraphik (Berliner Straßencafe am Abend, Im Tiergarten, Krumme Lanke, und Grunewaldlandschaften) geschaffen, auch fanden Reiseimpressionen aus Flandern, Thüringen, Holstein, Tirol und vom Gardasee künstlerischen Niederschlag. Lesser Urys Bilder sind von großem koloristischen Reiz, in einem dem Impressionismus ähnlichen Stil gemalt. Seine Arbeiten finden sich u. a. in der Nationalgalerie, Berlin, in der Landesgalerie, Graz, und in anderen Galerien.
Leo Lesser Ury (geb. Leiser Leo Ury; * 7. November 1861 in Birnbaum, Provinz Posen; † 18. Oktober 1931 in Berlin) war ein deutscher Maler und Grafiker der impressionistischen Berliner Secession. Seine Motive waren anfangs Landschaften, Großstadtbilder und Stillleben; in seiner Spätzeit schuf er auch Monumentalbilder mit biblischen Motiven.
Leben
Gedenktafel am U-Bahn-Gebäude Nollendorfplatz, Berlin
Der Sohn eines jüdischen Bäckermeisters kam 1873 nach Berlin. Von 1879 bis 1880 studierte Lesser Ury bei Andreas Müller und Heinrich Lauenstein an der Kunstakademie Düsseldorf Malerei, anschließend in Brüssel. Er sammelte in Paris wertvolle Erfahrungen unter anderen bei Jules-Joseph Lefebvre, erkundete Flandern und München. Dort bewarb er sich erfolgreich an der Akademie der Bildenden Künste, wo er am selben Tag aufgenommen wurde wie Ernst Oppler. Noch vor Oppler zog Ury bereits 1887 nach Berlin. Von 1897 bis 1901 arbeitete er im Atelierhaus Lützowstraße 82 und hatte von 1920 bis zu seinem Tode Atelier und Wohnung am Nollendorfplatz 1 in Berlin-Schöneberg. 1890 hatte Lesser Ury auf Empfehlung von Adolph Menzel den Michael-Beer-Preis erhalten, der mit einem Stipendium der Berliner Akademie der Künste einherging. Dies ermöglichte ihm eine mehrmonatige Reise durch Italien, mit Aufenthalt in der Villa Strohl-Fern in Rom. Lovis Corinth holte Ury an die Berliner Secession. Ein großer Förderer war der Industrielle Carl Schapira.
Ury, als Mensch eher ein Einzelgänger, beschritt auch in der Kunst einen einzelgängerischen Weg, während die Berliner Zeitgenossen Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth gemeinsame künstlerische Interessen verbanden. Vielleicht aus Konkurrenzgründen war Max Liebermann, dem Präsidenten der Akademie und einflussreichen Wortführer der Kunstszene, der zunehmende Bekanntheitsgrad Urys ein Dorn im Auge: Liebermann versuchte mit allen Mitteln, Urys Karriere zu blockieren. Ury konnte erst regelmäßig und erfolgreich in der Berliner Secession ausstellen, als Corinth Nachfolger Liebermanns wurde. Die Feindschaft zwischen Liebermann und Ury ist in zahlreichen Anekdoten überliefert. Einer dieser Geschichten zufolge habe Ury das Gerücht verbreitet, er hätte die Lichteffekte in Liebermanns Gemälde Flachsscheuer in Laren (1887) gemalt. Daraufhin antwortete Liebermann in einem Brief an Maximilian Harden mit dem Bonmot: „Ich würde erst dann den Staatsanwalt anrufen, wenn Herr Ury behauptete, ich hätte seine Bilder gemalt.“
1921 wurde er Ehrenmitglied der Secession. Ury begab sich in diesem Jahrzehnt mehrmals auf Reisen nach London, Paris und in verschiedene deutsche Städte. Von jeder Reise brachte der Künstler jeweils eine Fülle neuer Bilder mit. Kurz nach einer Parisreise 1928 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Malers durch einen Herzanfall zunehmend. Nationalgalerie und Secession wollten das Lebenswerk Urys zu seinem 70. Geburtstag (1931) ehren, drei Wochen vorher starb der Künstler jedoch in seinem Berliner Atelier.
Die Beisetzung Urys fand am 21. Oktober 1931 statt; die Grabrede hielt sein langjähriger Freund, der Rabbiner Dr. Joseph Lehmann. Das Ehrengrab von Lesser Ury befindet sich im Feld G 1, Ehrenreihe auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee. Im Berliner Ortsteil Moabit wurde 1979 ein Straße nach ihm benannt (Lesser-Ury-Weg).
Siehe auch: Liste der Ehrengräber in Berlin
Werk
Zu den bevorzugten Motiven Lesser Urys gehörten die für ihn typischen Kaffeehaus- und Straßenszenen sowie die durch meisterhafte Luft- und Lichtspiegelungen inszenierten Landschaften. Darüber hinaus hat er Blumenbilder, Stillleben und in seinem späteren Werk monumentale Historiengemälde mit Motiven biblischen Ursprungs geschaffen.
Berliner Großstadtszenen
Lesser Ury, ca. 1920
Straßenszene im Nebel vorm Berliner Dom
Nach Jahren der künstlerischen Ausbildung in Düsseldorf, Brüssel, Paris und München ließ sich Lesser Ury 1887 endgültig in Berlin nieder. Die Faszination für das großstädtische Leben war bereits während seines Aufenthalts in Paris geweckt worden. Vor allem aber für die Weltstadt Berlin empfand Ury ab dem ersten Moment eine ganz besondere Sympathie. Dies schlug sich so sehr in seiner Kunst nieder, dass er zu seinem 60. Geburtstag vom Oberbürgermeister Berlins als „künstlerischer Verherrlicher der Reichshauptstadt“ geehrt wurde.
In der pulsierenden, sich rasant entwickelnden Metropole an der Spree fand Ury bunt belebte Boulevards, strahlende Kaffeehäuser und das hektische Treiben unzähliger Passanten. Das moderne urbane Leben, wie es sich auch nachts in die von Gaslaternen, später von elektrischem Licht erhellten Straßen ergoss, lieferte dem Maler eine Fülle faszinierender Motive. Bei Lesser Ury sind Straße und Café Schauplätze zufälliger Begegnungen. In seinen atmosphärischen Szenerien bewegen sich elegant gekleidete Herren mit Zylinder und Stock, junge Damen mit modischem Hütchen und langen, mit Pelzkragen besetzten Mänteln, warten Passanten auf Pferdedroschken oder überqueren eilends regennasse Fahrbahnen. Warmes Licht aus den Schaufenstern der Läden oder Kaffees verwischt sich mit flüchtigen Schatten schemenhaft wiedergegebener Häuserschluchten.
Stadtbewohner, Flaneure und Reisende aus aller Welt inspirierten ihn zu seinen unkonventionellen, mit dunkler Farbpalette ausgeführten Kompositionen. Seine durch neue optische Eindrücke inspirierten stimmungsvollen Großstadtbilder veränderten nicht zuletzt bekannte Sehgewohnheiten. Daher mag es nicht verwundern, dass die heute zu den größten Meisterwerken der deutschen impressionistischen Malerei zählenden Straßenszenen Urys damaliges Publikum irritierten oder zuweilen sogar verstörten.