“Aus der Trübsal, die oft unerträglich wurde, fand ich einen Ausweg für mich, indem ich, was ich nie im Leben getrieben hatte, anfing zu zeichnen und zu malen. Ob das objektiv einen Wert hat, ist einerlei; für mich ist es neues Untertauchen in den Trost der Kunst, den die Dichtung mir kaum noch gab. Hingegebensein ohne Begierde, Liebe ohne Wunsch.”
Aus einem Brief an Felix Braun, 1917
“Meine kleinen Aquarelle sind eine Art Dichtungen oder Träume, sie geben von der ‚Wirklichkeit’ bloß eine ferne Erinnerung und verändern sie nach persönlichen Gefühlen und Bedürfnissen (…), dass ich (…) nur ein Dilettant bin, vergesse ich nicht.”
Aus einem Brief an Helene Welti, 1919
“Das Produzieren mit Feder und Pinsel ist für mich der Wein, dessen Rausch das Leben so weit wärmt und hübsch macht, dass es zu tragen ist.”
Aus einem Brief an Franz Karl Ginzkey, 1920
“Es bleibt bei ganz einfachen landschaftlichen Motiven, weiter scheine ich nicht zu kommen. Wie schön das andere alles ist, Lüfte und Tiere, bewegtes Leben und gar das Schönste, die Menschen, das sehe ich wohl, oft ergriffen und fast bestürzt, aber malen kann ich es nicht.”
Aus einem Brief an Cuno Amiet, 1922
“Ich habe in diesen Jahren, seit ich mich mit dem Malen beschäftigte, zur Literatur allmählich eine Distanz bekommen (…), zu der ich keinen andren Weg gewusst hätte. Ob dann nebenbei das Gemalte selbst noch irgendeinen Wert hat oder nicht, kommt kaum in Betracht. In der Kunst spielt ja die Zeit, umgekehrt wie in der Industrie, gar keine Rolle, es gibt da keine verlorene Zeit, wenn nur am Ende das Mögliche an Intensität und Vervollkommnung erreicht wird. Als Dichter wäre ich ohne das Malen nicht so weit gekommen.”
Aus einem Brief an Georg Reinhart, 1924
“Ich kenne eine ähnliche Gespanntheit und Konzentration (wie beim Schreiben) aus eigener Erfahrung nur noch bei der Tätigkeit des Malens. Da ist es ganz ebenso: jede einzelne Farbe zur Nachbarfarbe richtig und sorgfältig abzustimmen, ist hübsch und leicht, man kann das lernen und alsdann beliebig oft praktizieren. Darüber hinaus aber beständig die sämtlichen Teile des Bildes, auch die noch gar nicht gemalten und sichtbaren, wirklich gegenwärtig zu haben und mit zu berücksichtigen, das ganze vielmaschige Netz sich kreuzender Schwingungen zu empfinden, das ist erstaunlich schwer und glückt nur selten.”
Aus Kurgast, 1925
“Ich habe mein Malstühlchen in der Hand, das ist mein Zauberapparat und Faustmantel, mit dessen Hilfe ich schon tausendmal Magie getrieben und den Kampf mit der blöden Wirklichkeit gewonnen habe. Und auf dem Rücken habe ich den Rucksack, darin ist mein kleines Malbrett, und meine Palette mit Aquarellfarben, und ein Fläschchen mit Wasser fürs Malen, und einige Blatt schönes italienisches Papier …”
Aus Ohne Krapplack, in Berliner Tageblatt, 1928
“Jeder von uns Künstlern, auch wenn er viel an sich zweifeln muss und sein Talent und Können als scheußlich klein empfindet, hat einen Sinn und eine Aufgabe und leistet, wenn er sich treu bleibt, an seinem Ort etwas, was nur er zu geben hat. Wenn Du mit mir im Tessin malst, und wir beide das gleiche Motiv malen, so malt jeder von uns nicht so sehr das Stückchen Landschaft als vielmehr seine eigene Liebe zur Natur, und vor dem gleichen Motiv macht jeder etwas anderes, etwas Einmaliges. (…) Und wie viele Maler, die für Stümper oder für Barbaren in der Kunst galten, erwiesen sich nachher als edle Kämpfer, deren Werke den Nachfolgern oft tröstlicher sind und inniger geliebt werden als die größten Werke der klassischen Könner!” Aus einem Brief an Bruno Hesse, 1928
“In meinen Dichtungen vermisst man häufig die übliche Achtung vor der Wirklichkeit, und wenn ich male, dann haben die Bäume Gesichter und die Häuser lachen oder tanzen oder weinen, aber ob ein Baum ein Birnbaum oder eine Kastanie ist, kann man meistens nicht erkennen. Diesen Vorwurf muss ich hinnehmen. Ich gestehe, dass auch mein eigenes Leben mir sehr häufig wie ein Märchen vorkommt. Oft sehe oder fühle ich die Außenwelt mit meinem Inneren in einem Zusammenhang und Einklang, den ich magisch nennen muss.” Aus: Kurzgefasster Lebenslauf, 1925
“Ich bin sonst nicht eben eifrig im Besitzen, ich trenne mich leicht und gebe leicht weg. Aber jetzt plagt mich ein Eifer des Festhaltenwollens, über den ich zuweilen selber lächeln muss. Im Garten auf der Terrasse, am Türmchen unter der Wetterfahne, setze ich mich Tag für Tag stundenlang fest, plötzlich unheimlich fleißig geworden und mit Bleistift und Feder, mit Pinsel und Farben versuche ich dies und jenes von dem blühenden und schwindenden Reichtum beiseite zu bringen. Ich zeichne mühsam die morgendlichen Schatten auf der Gartentreppe nach und die Windungen der dicken Glyzinienschlangen und versuche, die fernen, gläsernen Farben der Abendberge nachzuahmen, die so dünn wie ein Hauch und doch so strahlend wie Juwelen sind. Müde komme ich dann nach Hause, sehr müde, und wenn ich am Abend meine Blätter in die Mappe lege, macht es mich beinah traurig zu sehen, wie wenig von allem ich mir notieren und aufbewahren konnte.”
Aus: Zwischen Sommer und Herbst, 1930
“Ich sende Ihnen hier zu Erwiderung Ihres Grußes ein Bildchen, das ich dieser Tage gemalt habe – denn das Zeichnen und Malen ist meine Art von Ausruhen. Das Bildchen soll Ihnen zeigen, dass die Unschuld der Natur, das Schwingen von ein paar Farben, auch inmitten eines schweren und problematischen Lebens zu jeder Stunde wieder Glauben und Freiheit in uns schaffen kann.” Aus einem Brief an eine Studentin in Duisburg, 1930.
Aus Hermann Hesse Magie der Farben Aquarell aus dem Tessin.
Herausgegeben von Volker Michels.
Mit großer Intensität widmete sich der Dichter seit dem ersten Weltkrieg auch der Malerei. Von seinen autodidaktischen Anfängen an, die zur Überwindung einer Lebenskrise beitrugen, hat er in etwa 3000 Aquarellen ein bedeutendes malerisches Werk geschaffen, das in leuchtenden Farben die Schönheiten des Tessins vermittelt – Hesses Wahlheimat seit 1919 bis zu seinem Tode 1962.
Im Jahre 1916 unterzieht sich Hermann Hesse einer Psychoanalyse in Sonnmatt bei Luzern. Sein Arzt Dr. J. B. Lang regt ihn zur bildnerischen Darstellung seiner Träume an. Hesse malt erste Bilder in Bern und in der Umgebung von Locarno im Tessin. 1917 beschäftigt sich Hesse intensiv mit Selbstporträts. 1918 weitere Malversuche im Tessin, dabei entstehen die ersten Texte und Illustrationen zum Buch Wanderung (veröffentlicht 1920). Zu Gunsten der Deutschen Kriegsgefangenenfürsorge, die Hesse 1916 in Bern gegründet hatte, bietet er erstmals Gedichtzyklen mit eigenen Illustrationen zum Verkauf an. 1919: Hesse illustriert sein Märchen Der schwere Weg und malt Aquarelle zu den Gedichten des Malers. Erste Ausstellung von Hesse-Aquarellen 1920 in der Kunsthalle Basel, 1920 frühe Reproduktionen in der Zeitschrift Wieland, München. 1921 erscheint die Kunstmappe Elf Aquarelle aus dem Tessin. 1922 Aquarell-Ausstellung in Winterthur zusammen mit Bildern von Emil Nolde. Hesse schreibt und malt das Bildermärchen Piktors Verwandlungen für Ruth Wenger. 1925 Publikation der Betrachtung.
Die Luganesische Landschaft von Josef Ponten, 1926 dessen Erzählung Die letzte Reise, beide mit farbigen Reproduktionen von Hesse-Aquarellen. Ausstellung von 50 Aquarellen in Berlin und 100 Aquarellen in Dresden. 1955 wird erstmals ein Bändchen Aquarelle aus dem Tessin und eine Serie mit Kunstpostkarten nach Aquarellen von Hermann Hesse herausgegeben. 1957, anlässlich des 80. Geburtstages: Ausstellung von Hesse-Aquarellen im Schiller-Nationalmuseum in Marbach. Nach Hesses Tod (1962) weltweit Ausstellungen seiner Aquarelle, u. a. in Tokio (1976 und 1996), Paris (1977), New York und Montreal (1980), San Francisco und Chicago (1981), Madrid (1985), Luxembourg (1987), Hamburg (1992) und Sapporo (1995).
Basel
In Hermann Hesses Leben gibt es zwei Basler Zeiten: Die Kinderzeit von 1881 bis 1886 und die Zeit als Buchhändler 1899 bis 1904. Die kurzen Basler Jahre, Vater Hesse war von Calw als Herausgeber des Missionsmagazins in die Schweiz berufen worden, blieben dem kleinen Hermann gut im Gedächtnis haften: „Heimat war mir Schwaben und Basel am Rheine“, schrieb Hesse später. Seine Basler Kinderzeit – die Familie lebte am Müllerweg – hat er im Hermann Lauscher und in der Geschichte Der Bettler eindringlich und mit viel Sympathie verewigt. Sie war aber auch eine Phase erster ernsthafter Konflikte mit der elterlichen Autorität. „Der Junge hat ein Leben, eine Riesenstärke, einen mächtigen Willen und wirklich auch ein Art ganz erstaunlichen Verstandes für seine vier Jahre. Wo will’s hinaus“, notierte die Mutter am 27. März 1882 in ihr Tagebuch und beklagt sich darin über sein leidenschaftliches Stürmen und Drängen.
1886 kehrt die Familie nach Calw zurück. Erst als Erwachsener sieht Hermann Hesse seine „Lieblingsstadt“ wieder. Nach seiner Tübinger Lehr- und Gehilfenzeit geht er im September 1899 als Buchhandelsgehilfe nach Basel. „Ich hatte keinen anderen Wunsch, als nach Basel zu kommen“, schreibt Hesse in seinen Basler Erinnerungen. Erst arbeitet er in der Reich’schen Buchhandlung, ab April 1901 dann im Antiquariat Wattenwyl, wo er bis zum Frühjahr 1903 bleibt. In Basel suchte und fand er eine neue geistig anregende Umgebung, es gelingt ihm, einen Bekanntenkreis aus kulturell aktiven und gebildeten Menschen aufzubauen. Er verkehrt im Haus des Historikers und Staatsarchivars Rudolf Wackernagel und widmet sich dem Selbststudium der bildenden Küste. Der Besuch im Basler Kunstmuseum wird zur lieben Gewohnheit. In Basel entdeckt Hesse auch seine Leidenschaft fürs Reisen und Wandern.
Im Frühjahr 1901 fährt er zwei Monate lang durch Oberitalien. Auf seiner zweiten Italienreise 1903 begleitet ihn die Basler Fotografin Maria Bernoulli. Ein Jahr später heiraten die beiden und beschließen, aufs Land zu ziehen. In Gaienhofen am Bodensee findet man ein leer stehendes Bauernhaus. Am 10. August 1904 zieht das junge Paar dort ein.
Kinderzeit in Basel 1881-1886
Die Schweizer Hauptstadt Bern
Bern
Von Gaienhofen zieht die Familie Hesse im September 1912 nach Bern um. Allerdings nicht in die Stadt, sondern in ein ländliches Haus in dem stillen Vorort Ostermudingen. Hesse findet alles, was er sucht: schöne Landschaft, nahe Berge und eine anregende, kultivierte Gesellschaft. Allerdings nehmen die ehelichen Probleme zu. Ehefrau Mia wird zunehmend gemütskrank, und Hermann Hesse kann seine Funktionen als Familienvater, Schriftsteller und Zeitkritiker immer schwerer koordinieren. Denn in diese Phase fällt auch der Erste Weltkrieg, dem er seine politischen Mahnrufe entgegensetzt, und der Aufbau einer Kriegsgefangenenfürsorge.
Nach dem Tod des Vaters 1916 steht der Dichter am Rande des nervlichen Zusammenbruchs, er begibt sich in eine Psychotherapie. 1919 bricht er mit dem Familienleben und der Sesshaftigkeit und verlässt nach sieben Jahren Bern, um allein ins Tessin zu ziehen. Mia befindet sich zu dem Zeitpunkt bereits in klinischer Behandlung, die Kinder werden ins Internat gegeben oder bei Bekannten untergebracht. Trotz aller Schwierigkeiten waren die Berner Jahre für den Schriftsteller Hesse fruchtbare und erfolgreiche Jahre. Rosshalde und Knulp werden in dieser Zeit vollendet und es entsteht der Roman Demian, der vor allem die Jugend begeistert und eine neue Stufe im dichterischen Schaffen einleitet. Auch äußerlich markiert er einen Neuanfang, indem Hesse das Buch zunächst unter dem Pseudonym Emil Sinclair erscheinen lässt.
Das Geburtshaus von Hermann Hesse am Calwer Marktplatz
Calw
Hermann Hesse kommt am 2. Juli 1877 in der Schwarzwaldstadt Calw auf die Welt. Der genaue Geburtsort ist das Haus Marktplatz 6, wo die Eltern Marie (geb. Gundert) und Johannes Hesse seit 1874 wohnen. Der kleine Hermann ist erst vier Jahre alt, als sein Vater, ein baltendeutscher Missionar, als Mitherausgeber des Missionsmagazins nach Basel berufen wird. 1886 kommt die Familie nach Calw zurück, wo der Neunjährige in das Calwer Reallyzeum, die Lateinschule, eintritt. Zuerst wohnt die Familie im Haus des Verlagsvereins, später in der Ledergasse. Die Welt, in die Hermann Hesse hinein wächst, atmet Enge und Weite zugleich. 1890 wird er zur Vorbereitung für das Landexamen auf das Gymnasium Göppingen gebracht. In diesen vier Jahren ist, trotz einer unglücklichen Schulzeit, das Städtchen Calw, das Hesse zur „schönsten Stadt zwischen Bremen und Neapel, zwischen Wien und Singapore“ verklärt, Inbegriff der Heimat geworden.
Tafeln am Geburtshaus erinnern in Calw an den berühmten Sohn der Stadt
Die Calwer Kindheit und Jugend kehren in vielen seiner Dichtungen und prosaischen Arbeiten wieder. Im Jahr 1906 kommt die Erzählung Unterm Rad heraus, die weitgehend in Calw geschrieben wurde und auch dort spielt. Auch Hermann Lauscher (1900) und Knulp (1915) spielen an den Ufern der Nagold. „Wenn ich als Dichter vom Wald oder vom Fluss, vom Wiesental, vom Kastanienschatten oder Tannenduft spreche, so ist es der Wald um Calw, ist es die Calwer Nagold, sind es die Tannenwälder oder die Kastanien von Calw, die gemeint sind, und auch Marktplatz, Brücke und Kapelle, Bischofstraße und Ledergasse, Brühl und Hirsauer Wiesenweg..“, schreibt Hermann Hesse über seine schwäbische Heimatstadt, für die er in seinen Erzählungen den Decknamen Gerbersau verwendet.
Gaienhofen auf der Halbinsel Höri am Bodensee
Gaienhofen
Im August 1904 kommt Hermann Hesse mit seiner Frau Maria Bernoulli, die er in Basel kennen gelernt hatte, nach Gaienhofen am Untersee. Das junge Ehepaar zieht in ein einfaches Bauernhaus am Kapellenberg mitten im Dorf. Die Jahre am Bodensee sind verknüpft mit Hesses ersten großen Erfolgen als freier Schriftsteller: Peter Camenzind (1904) wird von der Kritik hymnisch aufgenommen, Unterm Rad (1906) wird zum Verkaufserfolg. Hesse richtet sich in der Abgeschiedenheit und Natürlichkeit des ländlichen Lebens ein, entwickelt ein „Gefühl der Seßhaftigkeit“ und ist als Schriftsteller sehr produktiv.
Am Bodensee entstehen eine Reihe von Erzählungen. Daneben macht er sich als Literaturkritiker und Mitarbeiter verschiedener literarischer Zeitschriften einen Namen. Und Hesse wird Vater: 1905 kommt sein ältester Sohn Bruno auf die Welt. 1909 und 1911 werden die Söhne Heiner und Martin geboren. Wegen des Nachwuchses baut das Paar mit Hilfe des Basler Schwiegervaters ein eigenes und komfortableres Haus am Ortsrand von Gaienhofen. Auch gesellschaftlich beginnt sich Hesse zu etablieren. Er pflegt regen Kontakt zu vielen Künstlern, Musikern und Malern, die sich nach ihm in der Bodenseeidylle niedergelassen haben. Darunter Otto Blümel, der mehrere Bücher von Hesse ausstattet.
Auch Ludwig Finckh, der Tübinger Freund, lässt sich als Arzt ganz in der Nähe nieder. Später folgen u.a. die expressionistischen Maler Erich Herkel und Otto Dix. Doch ein Wohnsitz auf Dauer kann Gaienhofen nicht werden. Hesse unternimmt Reisen, die er selbst als „Flucht“ bezeichnet. 1911 bricht er nach Indien auf. Ein Jahr später wird das Haus in Gaienhofen verkauft, die Familie zieht nach Bern in die Schweiz.
Volker Michels über Gaienhofen, Vortrag 1995 (PDF, 160 kB) Hesse an Stefan Zweig
Der Kreuzgang im Kloster Maulbronn
Erich Blaich
Maulbronn
Am 15. September 1891 wird Hermann Hesse, nachdem er das Landexamen glänzend bestanden hatte, Seminarist im Kloster Maulbronn. Das alte Zisterzienser-Kloster, eine der schönsten und besterhaltenen Klosteranlagen Deutschlands, 1147 gegründet, war 1556 durch die Schulreform unter Herzog Christoph von Württemberg eine der Evangelischen Klosterschulen geworden. Johannes Kepler (1571-1630), der Mathematiker und Astronom, besuchte die Schule in den Jahren 1586-1589, Friedrich Hölderlin (1770-1843) ab 1786. 1807 wird aus der Klosterschule das Evangelisch theologische Seminar mit dem Auftrag, die jungen Stipendiaten frühzeitig durch die alten Sprachen auf das Studium der Theologie vorzubereiten.
Hesse tritt als Vierzehnjähriger in die Pflanzschule ein. Wie Hans Giebenrath in der Erzählung Unterm Rad und Josef Knecht im Glasperlenspiel wohnt er in der Stube beziehungsweise im Haus »Hellas«. Der Unterricht ist hart, die Freizeit knapp. Anfangs fühlt sich der Vierzehnjährige trotzdem sehr wohl in Maulbronn, er hat sich schnell und gut eingelebt. Mit Hingabe widmet er sich dem Studium der Klassiker. Er übersetzt Homer, beschäftigt sich mit Schillers Prosa und Klopstocks Oden. „Ich bin froh, vergnügt und zufrieden. Es herrscht ein Ton, der mich sehr anspricht“, schreibt er in einem Brief mit Datum vom 24. Februar 1892. Nur wenige Tage später, am 7. März, läuft Hermann Hesse ohne ersichtlichen Grund davon. Nach einer bitterkalten Nacht auf freiem Feld wird der Ausreißer von einem Gendarmen aufgegriffen, kehrt ins Seminar zurück und bekommt als Strafe acht Stunden Karzer. In den folgenden Wochen manifestiert sich bei ihm eine depressive Stimmung, Freunde ziehen sich zurück, der Seminarist Hermann vereinsamt und leidet unter der Isolierung. Im Mai, nach nur einem guten halben Jahr im Seminar, holt ihn der Vater nach Calw zurück. Neben Unterm Rad ist Maulbronn auch als „Mariabronn“ in Narziß und Goldmund und als “Waldzell” in Das Glasperlenspiel literarisch von Hesse verarbeitet worden.
Im Maulbronner Kreuzgang, Gedicht von Hermann Hesse 1914
Die Casa Camuzzi in Montagnola
Suhrkamp Verlag, Berlin
Montagnola
Im Mai 1919 verlässt Hermann Hesse Bern und zieht ohne die Familie in den Süden. In dem Tessiner Flecken Montagnola oberhalb des Luganer Sees findet er die pittoreske Casa Camuzzi, ein romantisches Schlösschen, in dem er drei Zimmer mietet. Wahrscheinlich ahnt er zu dem Zeitpunkt selbst nicht, dass er hier einen Wohnort bis zum Ende seiner Tage gefunden hat. Mit Montagnola beginnt eine einschneidende Veränderung im Leben des 42-jährigen, der sich persönlich und künstlerisch in einer tiefen Krise befindet. Seine erste Ehe ist gescheitert, im Ersten Weltkrieg hat sein Weltbild Risse bekommen und seine auf deutschen Konten lagernden Ersparnisse werden von der Inflation aufgezehrt.
Auch als Schriftsteller steht Hesse vor einem Debakel. Das ändert sich unter der Sonne des Südens schlagartig. Die angestauten psychischen Spannungen entladen sich buchstäblich in einem kreativen Schaffensrausch, der seinen Dichterruhm begründet. Der erste Sommer ist auch der Sommer des Klingsor (ein Spiegelbild Hesses), der malt und wie er in der Casa Camuzzi zu Hause ist. Auch Hesse beginnt im Tessin intensiv zu malen, in ungezählten farbenfrohen Aquarellen bildet er die mediterrane Landschaft ab. Das hindert ihn aber nicht am Schreiben: In seinem neuen Dichterdomizil entstehen seine wichtigsten Werke: Neben Klingsors letzter Sommer sind das Siddhartha, Der Steppenwolf und Narziß und Goldmund.
Nach zwölf Jahren in der Casa Camuzzi zieht Hesse 1931 in die Casa Rossa, später Casa Hesse, die ihm und seiner dritten Frau Ninon von den Züricher Freunden Elsy und Hans C. Bodmer auf Lebzeiten zur Verfügung gestellt wird. Hesse, mittlerweile in den Fünfzigern, schreibt hier, ruhiger und abgeklärter, sein Alterswerk, vor allem Das Glasperlenspiel (1943). Wie schon in Gaienhofen lebt Hesse sehr naturverbunden, die Gartenarbeit gehört zum selbstverständlichen Tagesablauf.
In der Zeit des Nationalsozialismus wird die Casa Hesse zum Anlaufpunkt politisch Verfolgter, darunter Thomas Mann, Bertolt Brecht und Heinrich Wiegand. Und es trifft massenweise Leserpost in Montagnola ein: Hesse, zur moralischen Instanz für viele Menschen geworden, korrespondiert mit großem Fleiß und eiserner Disziplin. Er soll mehr als 35.000 Briefe beantwortet haben. Am 9. August 1962, kurz nach seinem 85. Geburtstag, stirbt Hermann Hesse. Er ist auf dem Friedhof St. Abbondio beigesetzt.
Die Universitätsstadt Tübingen am Neckar
Tübingen
Der Flucht aus dem Kloster Maulbronn 1892 folgen Aufenthalte in Bad Boll, der Nervenheilanstalt Stetten, eine abschließende Schulzeit in Cannstatt und ein 1 1/2 jähriges Praktikum in der mechanischen Werkstatt des Calwer Turmuhrenfabrikanten Heinrich Perrot. Zwischen Oktober 1895 und Juni 1899 absolviert Hermann Hesse in Tübingen eine dreijährige Buchhändlerlehre, der sich ein Jahr als Gehilfe anschließt. Seine Arbeitsstelle ist die Heckenhauerische Buchhandlung, Holzmarkt 5, und er wohnt in der Herrenberger Straße 28 zur Untermiete. Die Tätigkeit als Buchhändler verschafft ihm eine gewisse Befriedigung, auch wenn sie ihn anstrengt. Die Bildung seiner Vorgesetzten nötigt ihm Respekt ab.
Heute eines der ältesten Antiquarate Deutschlands: J.J. Heckenhauer in der Münzgasse bei der Stiftskirche.
Der elterlichen Aufsicht entronnen, beginnt der Achtzehnjährige mit einer erstaunlichen Selbstdisziplin ein literarisches Selbststudium. Er liest die Klassiker, vor allem Goethe, in denen er sein literarisches Evangelium entdeckt, und widmet sich dann den Romantikern. Viele Stunden verbringt er im Zimmer, die Außenwelt hält er auf Distanz, das fröhliche Studentenleben erscheint ihm als Zeitverschwendung. Eine Ausnahme ist die Freundschaft zu dem Jurastudenten Ludwig Finckh (ab 1897), der selber als Schriftsteller in Erscheinung treten wird, und mit dem er einen Freundeskreis Gleichgesinnter, den Petit Cénacle gründet. Zum Missvergnügen seiner Familie beginnt Hermann Hesse bald auch mit der Produktion eigener Literatur. Im November 1898 kommen die selbst finanzierten Romantischen Lieder heraus, es folgt das Prosabändchen Eine Stunde hinter Mitternacht. Außerdem gelingt es ihm, einige Gedichte in Zeitschriften unterzubringen. Die Tübinger Spuren in Hesses Werk sind vergleichsweise schwach. Als literarischer Schauplatz ist die Neckarstadt vor allem in zwei Erzählungen eingegangen: Zum einen in die historisierende Novelle Im Presselschen Gartenhaus, zum anderen in ein Kapitel aus dem Hermann Lauscher (Die Novembernacht), das den Untertitel Eine Tübinger Erinnerung trägt.